Anys Reimann: Bernehain, Texte

2022

Anys Reimann: Bernehain 2022, Texte

Während der Eröffnung am 17. September 2022 vorgetragene Texte

Anna Fricke, Kuratorin für Zeitgenössische Kunst, Museum Folkwang

Im Zentrum von Anys Reimanns Werken steht der Körper. Über ihn verhandelt Reimann Fragen der hybriden Identität. Auf einer ganzen Reihe von Collagen und collagierten Gemälden sind die Figuren aus schwarzen Menschen und weißen Menschen zusammengesetzt, ein Blick und eine Herangehensweise, die sie bis in die Materialien fortsetzt: gefundene Bilder treffen auf gemalte Passagen, selten stammen am Ende beide Augen von derselben Person. Sie verbildlicht somit die grundsätzliche Hybridität jeglicher Identität und auch jeglicher Kultur, die sich immer nur durch Austausch weiterentwickeln kann.

Aber Reimann hat sich dabei nie auf das 2-Dimensionale beschränkt, für ihre OFELIA-Serie pflanzt sie seit 2019 dunkle Gärten, die fremd erscheinen in ihrer Umgebung – wie Gegenbilder zum bunten Blütengarten. Diese Serie hat für mich den Ausschlag gegeben, Anys Reimann für ein Projekt am Moltkeplatz einzuladen. Was sie daraus gemacht hat, geht weit über die bisherigen OFELIA Gärten hinaus, reicht in die Tiefen der Ruhrgebietsgeschichte, umfasst Kohle und Bergbau, gräbt nach vergessenen Erzählungen und lässt mit BERNEHAIN einen geheimnisvollen Ort entstehen, der uns nicht zuletzt den unter uns im verborgenen fließenden Gewässern gewahr werden lässt.

Selbst in Duisburg aufgewachsen, realisiert Reimann damit erstmals eine Installation im öffentlichen Raum im Ruhrgebiet. ( … )

Herzlichen Dank für diese vielschichtige Arbeit, liebe Anys, das Wort ist Deins.


Anys Reimann zu Bernehain: Text zur Eröffnung am 17. September 2022

„Es war einmal…“

Geschichten, Märchen, auf der ganzen Welt beginnen so, und meist liegt Ihnen ein wahrer Kern zugrunde, der sich im Laufe der Zeiten zwar oft durch ihre Strömungen verändert, bzw. ausgeschmückt wird, doch wie bei einem Stück Sediment, das uns verschiedenste Lagen der Erdgeschichte zeigt, kann man den Kern zurückverfolgen.

Dies bringt mich zu meinem Leitmotiv, den ‚Schichten der Bedeutung‘.

Im Falle der Installation des Bernehain gab es viele glückhafte Bedeutungsebenen. Mein Aufwachsen in Duisburg-Beeck, im Ruhrpott, umgeben von Stahl und Ruß in direkter Nachbarschaft zur König Pilsener Brauerei mitsamt dem steten Geruch von Hopfen und Malz.

Meine Arbeitsreihe der „Schwarze Garten“, in der sich auch die ganz persönliche Arbeit „Pott“ einreihen kann, und als Bindeglied zwischen den historischen und regionalen Besonderheiten funktioniert, die ich hier am Moltkeplatz vorgefunden hatte.

Denn nach der Einladung von Dr. Anna Fricke und dem Verein KaM, eine Arbeit zu konzipieren, begann ich mich mit der weiteren und engeren Geschichte Essens und des Moltkeviertels, des Moltkeplatzes, zu beschäftigen.

Ich entdeckte mehrere verblüffende Dinge:

  • Auf alten Karten aus dem 19. Jahrhundert war zu sehen, durch welch´ schöne vorindustrielle Landschaft das fisch- und artenreiche Flüsschen Berne hier geflossen war; viele Mühlen wurden von seiner Wasserkraft angetrieben auf seinem weiteren Weg … und in älteren Aufzeichnungen war zu finden, dass Essen als „die Stadt an der Berne“ bezeichnet wurde, da Ruhr und Emscher noch weit außerhalb des damaligen Stadtgebietes lagen.
  • Und der Zufall wollte es, dass der Punkt, wo meine Arbeit stehen sollte, auch die Stelle markiert, wo ein versiegter Quellarm und die noch bestehende ‚Bernequelle‘ aus dem nahen ‚Bernewäldchen‘ sich trafen, um dann als ‚Berne‘ ihren etwa 8 km langen Weg zur Emscher anzutreten.
  • Zu guter Letzt fand ich in dem von Dirk Sondermann zusammengetragenen Band „Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle“ die „Sage von der Berne“. Eine Sage aus vorindustrieller Zeit, die von Zwergen, dem Bergbau und frühem Kohleabbau erzählt … und von den an den Ufern der Berne lebenden Nixen, dem Wasservolk.
    Eines der Märchen, das von den Unterschieden und Veränderungen, das von Unverständnis, Missverständnis, und seinen Folgen erzählt.
    Aber auch von ganz eigener Schönheit, Romantik, und davon, dass Alles zwei Seiten hat und die Natur immer schon zuerst da war.

Ein ‚heiliger‘ Hain bedeutete in vielen Kulturen eine Stelle, ein Naturort, an dem man ursprünglich ein ‚Phänomen‘ verehrte.

Der ‚Bernehain‘ steht so für eine Art Fortsetzung der Erzählung: das Erdinnere, die Erde, das Wasser und deren temporär geglückte Verbindung, wenn dann im Frühjahr die tiefdunklen bis schwarz anmutenden Blumen aufblühen … versteckt in seinen Zwischenräumen, und drumherum.


Über die Eröffnung der Ausstellung von Bernehain hier.

Zu den erwähnten Karten und der Sage von der Berne hier.

Zur Bernehain Startseite hier.

Das Projekt wird realisiert mit freundlicher Förderung und Unterstützung durch Kunststiftung NRW, Allbau Stiftung, Sparkassenlotterie „PS-Sparen und Gewinnen“, Nolte Ingenieur Holzbau GmbH und Ingenieurbüro Lars Römling.